Inklusion ist mehr als nur Rampen

Am 5. September wurde die Inklusions-Initiative mit 108'000 gültigen Unterschriften eingereicht. Die Initiative möchte die rechtliche sowie tatsächliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen garantieren, und wartet nun auf eine Stellungnahme des Bundesrats. Die Stellung des Initiativkomitees hingegen ist klar: Trotz Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) halte sich die Schweiz nicht daran, sie mache zu wenig für eine inklusive Gesellschaft. Ähnlich sieht es ein vor zwei Jahren veröffentlichter Schattenbericht, welcher die Umsetzung der UN-BRK überprüfte. Wieso ist es also noch nicht selbstverständlich, dass mehr gemacht werden muss?

Vielen Nicht-Behinderten fällt es schwer, die Zugänglichkeit der Schweiz einzuschätzen. Zahlreiche Hindernisse – sowohl im gesellschaftlichen als auch im privaten Leben – scheinen unsichtbar für jene Personen, welche sie nicht täglich überwältigen müssen. Präsent sind sie aber trotzdem: Sei es der Bahnhof, der keinen Lift hat oder die Türe, die zu schwer zu öffnen ist.

Unter dem Begriff ‚Zugänglichkeit‘ werden häufig nur an raumplanerische Massnahmen wie die obigen Beispiele gedacht, doch der Begriff ist viel umfassender. Beispielsweise sind in der Schweiz rund 150’000 Menschen mit Behinderungen in Heimen, Kliniken oder anderen Wohneinrichtungen untergebracht. Diese Personen hatten meist keine freie Wahl als sie sich eine Unterkunft suchten: Sie wurden aus finanziellen oder psychischen Gründen in solche Institutionen gedrängt. Auch der Schattenbericht kritisierte die fehlende Selbstbestimmung behinderter Personen beim Wohnen, und genau dieser Punkt packt die Inklusions-Initiative an: Sie fordert eine freie Wahl des Wohnsitzes sowie Unterstützungsmassnahmen, die diese Wahl auch in der Praxis ermöglichen.

Dass die freie Wohnsitzwahl heute noch nicht gewährleistet ist, zeigt auf, wie Behinderte in Augen der Gesellschaft entmenschlicht werden. Anderen Personengruppen wird dieses Recht zweifelsfrei zugesprochen, wieso sollte es hier anders sein? Grund dafür ist die Tatsache, dass wir, die Öffentlichkeit, Menschen werten. Und zwar nicht danach, wie sympathisch eine Person ist, sondern nach ihrem materiellen Beitrag zur Gesellschaft. Ein CEO ist ganz oben, Behinderte oder Geflüchtete weit unten. Dieses Werten reduziert uns lediglich auf unsere Produktivität, wie viel Gewinn wir für den Betrieb machen können oder wie viel Geld in unserer Sparkasse sitzt. Nicht nur ist dieser Ansatz respektlos, aber er stellt auch die falsche Erwartung an alle, dass wir die gleiche, höchstmögliche Leistung hätten erbringen können . Insbesondere für Behinderte ist dies nicht möglich, weshalb wir uns für eine inklusivere Gesellschaft unbedingt von dieser Mentalität distanzieren müssen. So fördern wir eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der Anerkennung der natürlichen Vielfältigkeit von uns allen.

Schlussendlich kommt auch die Inklusions-Initiative uns allen zugute. Zugänglichkeit ist im Interesse aller Menschen. Rampen am Bahnhof machen das Leben für Personen mit Kinderwagen einfacher, auch Rückzugsorte und Ruheräume sind für Viele vorteilhaft. Doch während Nicht-Behinderte von solchen Massnahmen profitieren könnten, sind Behinderte zwingend darauf angewiesen. Deshalb ist es notwendig, dass mehr gemacht wird!