Wie weiter mit der Sozialversicherung?

Mit dem Mass an Panik, mit dem über die finanzielle Lage der AHV berichtet wird, könnte man fast meinen, sie gehe bankrott. Nach Krankenkassenprämien und Klimakrise zählte die Altersvorsorge als drittgrösste Sorge der Schweizer Bevölkerung. Das ist ja auch verständlich: Ständig ist in den Medien zu hören, dass der AHV demnächst das Geld ausgeht. Ist die Lage wirklich so prekär?

Schon seit Jahrzehnten geht der Bund davon aus, dass sich die Kasse der AHV leeren wird. Vor 10 Jahren sagte eine UBS-Studie, dass die AHV ab 2019 nur rote Zahlen schreiben werde. Betrachtet man nur die neueste Statistik, könnte man meinen, die Studie hatte Recht: Die AHV schrieb im Jahre 2022 einen Verlust. Aber nicht wegen zu tiefen Einnahmen, sondern aufgrund eines schlechten Anlageergebnisses. Die Einnahmen liegen bei einem Rekordhoch: Auch mit dem Anlageverlust eingerechnet, ist es das drittbeste Resultat in der Geschichte der AHV. Die AHV ist finanziell stabil, es scheint, als hätte sich der Bund verirrt.

Anders sehen es die Jungfreisinnigen, die mit einer Renteninitiative eine “sichere und nachhaltige Altersvorsorge” erreichen wollen. In dieser Initiative geht es darum, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Diese Idee ist absurd. Nur weil Menschen länger leben, heisst ganz und gar nicht, dass sie länger arbeitsfähig bleiben. Die Ironie hinter der Initiative ist: Ausgerechnet diejenigen, die nicht länger arbeiten können, neu länger arbeiten müssten. Während Topverdienende in die Frühpension gehen, müssen Geringverdienende länger und länger arbeiten. Dieselben Geringverdienende, die sonst schon mehr arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen, die sonst schon eine tiefere Lebenserwartung haben. In der Tendenz sind sie diejenigen, die physisch belastende Arbeit ausüben, sei es im Detailhandel, in der Pflege, oder auf der Baustelle. Im Alter sind solche Berufe schlichtweg nicht für alle möglich. Wieso sollte man in diesem Fall keinen Anspruch auf eine Rente haben? Plötzlich sieht die Schweizer Sozialversicherung nicht mehr so sozial aus.

Wie könnte die AHV also nachhaltig gestärkt werden, wenn das wirklich so notwendig ist? Die Lösung ist nicht kompliziert: Man soll der Bevölkerung mehr Kraft geben, in sie einzuzahlen. Dafür gibt es direkte Faktoren, wie höhere Löhne, und indirekte, wie bezahlbare Kita-Plätze, eine bezahlte Elternzeit, oder ein gut ausgebautes, preiswertes ÖV-Netz. Faktoren, die wir alle kennen und wertschätzen, die trotzdem nicht zur heutigen Norm gehören. Der Durchschnittslohn stagniert, die Löhne der Manager und CEOs steigen weiterhin: Die Arbeitswelt, insbesondere die Rechte der Arbeitnehmenden, muss sich dem 21ten Jahrhundert anpassen.

Auch unser Sozialversicherungssystem muss sich der heutigen Zeit anpassen: Heute gibt es zu viele Lücken, und der bürokratische Aufwand ist enorm. Deswegen sollte das bisherige System von AHV, IV und Pensionskasse mit einer Allgemeinen Erwerbsversicherung (AEV) ersetzt werden. Die Idee einer solchen Versicherung ist es, Erwerbslosigkeit aller Arten abzusichern, sei sie durch Alter, Krankheit, Elternschaft oder Weiteres zustande gekommen. So können alle Personen, die eine Versicherung brauchen, eine erhalten und durch gezielte Ergänzungsleistungen unterstützt werden. Ein Nebeneffekt einer solchen Vereinheitlichung der Sozialversicherungen ist, dass der nötige bürokratische Aufwand deutlich verringert wird. Die AEV würde durch Beiträge der Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden und über Steuereinnahmen finanziert werden.

Die AHV wurde 1948 ins Leben gerufen, zu einer Zeit, als Menschen ganz anders lebten und arbeiteten. Eine Allgemeine Erwerbsversicherung ist vergleichbar mit der AHV ein grosser Schritt für unser Sozialversicherungssystem. Sie ist eine weitsichtige Lösung, die systemische Probleme mit der heutigen Sozialversicherung lösen würde. Sie ist jedoch nur eine mittelfristige Lösung. Langfristig sollte die Wirtschaft nicht auf das ewige Wachstum oder den Profit ausgerichtet sein, sondern auf das Wohl der Menschen und des Planeten. Durch Reduzierung unseres Konsums werden verbrauchte Ressourcen und nötige Arbeitszeiten vermindert, und wir können ein ökologisches, erfüllendes Leben führen.

Vielleicht haben Sie bemerkt, es fehlt die kurzfristige Lösung? Am 8. März ein Ja zur 13. AHV-Rente. Das können wir uns leisten.